Wie bauen wir in Zukunft?

Zwischen zirkul?ren Idealen, sozialen Realit?ten und vergessenen Traditionen braucht es nicht nur Effizienz, sondern auch Wandel. Fünf Perspektiven auf die Architektur von morgen.

Jemand macht eine Skizze, während jemand anderes die Skizze erbaut aus Holz in klein
Zukunftsweisende Strategien und Materialien für eine nachhaltige Architektur. (Bild: Farknot Architect / AdobeStock)

Verdichtung ohne Verdr?ngung

In Zeiten von Klimakrise und knappen Ressourcen bedeutet nachhaltiges Bauen vor allem Bauen im Bestand. Das hilft uns, unbebautes Land zu schützen, was ein zentrales Ziel der Schweizer Raumplanung ist. Doch verdichtetes Bauen kann auch negative Folgen haben: Im Moment erfolgt es vor allem über Ersatzneubauten und Totalsanierungen. Dadurch werden ?rmere Menschen aus ihren Wohnungen verdr?ngt. Hier ist die Schweiz noch nicht auf Kurs. Instand halten, umbauen, aufstocken oder etappenweise renovieren ist nicht nur ?kologischer als abreissen und neu bauen, sondern auch sozial vertr?glicher, weil die Menschen in ihren Wohnungen bleiben k?nnen. Bauen darf aus meiner Sicht nicht isoliert betrachtet werden. Es ist auch eine soziale und ?kologische Aufgabe, weil wir stets in einem Lebensraum bauen und auf Land, das bereits einen Nutzen für Natur und Mensch aufweist. Deshalb braucht es eine sozial-?kologische Perspektive in der Baukultur. Bauen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir sorgf?ltig planen und gemeinsam verantworten müssen.

Porträt von David Kaufmann

David Kaufmann ist Assistenzprofessor für Raumentwicklung und Stadtpolitik.

 

Lernen von vergessenen Baukulturen

Ich hoffe, dass wir in Zukunft eine Balance zwischen fortschrittlichen Baupraktiken der Moderne und den weisen Bautraditionen unserer Vorfahren finden. Denn in diesen oft vergessenen Baukulturen liegt ein tiefes Verst?ndnis der lokalen Umwelt und wertvolles Wissen über den nachhaltigen Umgang mit den Widrigkeiten w?rmerer Klimazonen – insbesondere, wenn es um St?dte der Zukunft geht. Ich hoffe, dass wir für unsere Geb?ude und St?dte die einfachen und doch cleveren L?sungen entdecken, die Menschen in der südlichen Hemisph?re schon seit Jahrhunderten anwenden, lange bevor es Klimaanlagen, Beton und Zentralheizungen gab – wie etwa Lehm, der H?user gegen Hitze isoliert und günstig, energiearm und abbaubar ist. Ich hoffe, wir k?nnen die traditionellen Ans?tze mit unserem technologischen Know-how kombinieren, um eine nachhaltigere und gerechtere Architektur zu schaffen, die sowohl die Umwelt schont als auch die Lebensgrundlagen, die Kultur und das architektonische Erbe der Menschen erh?lt.

Porträt von Mariam Issoufou

Mariam Issoufou ist Professorin für architektonisches Erbe und Nachhaltigkeit.

 

Zirkul?res Bauen bleibt ein hehres Ziel

Die Zukunft des Bauens liegt aus meiner Sicht – zumindest teilweise – in der Vergangenheit. Gilt es doch, einst verbaute Materialien und Bauteile zu erhalten oder rückzubauen und wiederzuverwerten, um so idealerweise eine Kaskadennutzung von Geb?uden zu etablieren. Kreislauff?higes Bauen ist jedoch anspruchsvoll und im gegenw?rtigen ?konomischen System mit günstigen Materialien und hohen Arbeitskosten am ehesten bei Neubauten realisierbar. Disruptive zirkul?re Innovationen erfordern eine Neuorganisation von Wertsch?pfungsketten und sind aufgrund der vielen Akteure und divergierender Interessen mit hohen Hürden konfrontiert. Soll jedoch in Zukunft der gesamte Geb?udebestand als bauliche Ressource dienen, müssen wir heute beginnen, zwei Voraussetzungen zu schaffen: erstens eine Dokumentation der verbauten Materialien und ihres Wiederverwendungspotenzials, zweitens eine Bauweise, die ein n?chstes Leben der Bauteile überhaupt erm?glicht. Solange jedoch neue Materialien und die Abfalldeponierung kostengünstig sind, bleibt Zirkularit?t ein Nischenph?nomen.

Porträt von Catharina Bening

Catharina Bening ist Professorin für Kreislaufwirtschaft.

 

Ver?nderung als Wert

Unsere Bauwerke sollten so geplant und konstruiert sein, dass sie sich leicht an neue Anforderungen anpassen lassen und m?glichst lange nutzbar sind. Die Reparaturf?higkeit spielt dabei eine entscheidende Rolle, genauso wie Re-Use-Konzepte zur Wiederverwendung von Bauteilen. Mit dem aktuell starken Fokus auf Re-Use im Bauwesen entstehen aber auch neue Herausforderungen. So müssen wir uns bewusst sein, dass hierdurch auch der leichtfertige Abbruch von Geb?uden bef?rdert werden kann. Zudem stellen sich gerade meiner Disziplin, der Denkmalpflege, grunds?tzliche Fragen: Wie k?nnen und sollen wir Bauten schützen und als Baudenkmale erhalten, wenn diese dafür geplant und konstruiert sind, vollst?ndig in ihre Einzelteile zerlegt zu werden, um in den baulichen Kreislauf zurückzufliessen? Eine M?glichkeit w?re, die Ver?nderbarkeit als baukulturellen Wert zu begreifen. Dazu habe ich unl?ngst den ?Transformationswert? als Erg?nzung unseres Wertekanons vorgeschlagen, der die Anpassungsf?higkeit bestimmter Bauten und Best?nde würdigt und ihren Erhalt f?rdert.

Porträt von Silke Langenberg

Silke Langenberg ist Professorin für Konstruktionserbe und Denkmalpflege.

 

?kologische Effizienz allein reicht nicht

Wenn wir weiterbauen wie bisher – linear, energieintensiv und wachstumsgetrieben –, verspielen wir die planetaren Grundlagen für eine lebenswerte Schweiz. Zukunftstaugliches Bauen heisst nicht nur besser d?mmen, sondern vor allem, weniger neu zu bauen. Die gr?sste Ressource der Zukunft ist der Bestand. In unserer Forschung am Future Cities Laboratory in Singapur und Zürich untersuchen wir, wie urbane Systeme durch Kreislaufprozesse, Suffizienz- und Effizienzstrategien sowie r?umliche Resilienz zukunftsf?hig werden k?nnen. Die Schweiz positioniert sich technologisch stark und k?nnte im nachhaltigen Bauen eine Vorreiterrolle übernehmen – doch der Fokus auf ?kologische Effizienz allein greift zu kurz. Wir müssen auch über Verzicht, Transformation, Adaption und gerechtere Raumverteilung sprechen. Strukturelle Fragen nach Bodenpolitik, Baukultur oder sozialen Modellen bleiben jedoch oft unangetastet. Die Zukunft des Bauens liegt in der Transformation des Bestehenden – nicht im Abriss. Unsere gebaute Umwelt wird damit dichter, bunter und facettenreicher werden.

Porträt von Sacha Menz

Sacha Menz ist Professor für Architektur und Bauprozess und leitet das Future Cities Laboratory der ETH Zürich in Singapur.

Nachhaltig bauen

Globe 25/02 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/03 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

Download Ganze Ausgabe lesen (PDF, 5.3 MB)

?hnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert