Traditionelle Baumaterialien im Aufwind

Noch wird vorwiegend mit Beton und Stahl gebaut – mit erheblichen Auswirkungen auf das Klima. Natürliche und wiederverwendbare Baustoffe rücken deshalb wieder in den Fokus.

Ein Betonblock in einer Wiese und dahinter sind Bäume
Der knapp neun Meter hohe Ofenturm im Ziegelei-Museum Cham ist das erste vorgespannte Lehmbauwerk der Welt. (Bild: Sandro Livio Straube / Empa)

Auf der Suche nach Baustoffen für eine emissionsarme Zukunft greift die Baubranche auf altbekannte Materialien wie Holz, Lehm oder Stroh zurück. ?Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen verursachen deutlich weniger Treibhausgase?, sagt Guillaume Habert, Professor für nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. ?Sie haben zudem den Vorteil, dass sie w?hrend ihres Wachstums CO? aus der Atmosph?re binden und dieses dann langfristig gespeichert wird, wenn die Stoffe verbaut werden.?

Solche natürlichen Stoffe gibt es hierzulande reichlich. Zum Beispiel Lehm: Beim Bau von Wohnh?usern und anderen Geb?uden fallen in der Schweiz pro Jahr rund fünfzig Millionen Tonnen Aushubmaterial an. Der Grossteil davon geht in die Deponie. Würde man den lehmhaltigen Boden behalten und als Baumaterial wiederverwenden, k?nnte man den Kreislauf direkt schliessen – und würde Ressourcen, unz?hlige Lastwagenfahrten und Geld sparen. Heute muss man für die Entsorgung von Aushub zahlen. Die Wahl der richtigen Baustoffe wirke sich nicht nur positiv auf die Umwelt, sondern auch auf die lokale Wirtschaft und sogar auf die Gesundheit aus, fügt Habert an.

Nachhaltig bauen

Globe 25/02 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/03 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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Anderen Umgang finden

Es gibt Studien, die zeigen, dass sich Gesundheitsprobleme wie Allergien und Asthma mit natürlichen Baumaterialien reduzieren lassen. Es brauche einen neuen Umgang mit traditionellen Materialien, betont der Professor. ?Wenn wir Erde, Holz oder Stroh im heutigen wirtschaftlichen Kontext verwenden und dabei die Erwartungen der Nutzenden hinsichtlich Qualit?t, Dauerhaftigkeit, Wirtschaftlichkeit, ?sthetik und Komfort erfüllen wollen, k?nnen wir diese Stoffe nicht mehr auf dieselbe Weise verarbeiten wie vor 200 Jahren.?

Der Schlüssel zu neuen Ans?tzen liegt einerseits in der Produktion: Vorgefertigte Bauteile oder der Einsatz von Robotern machen die Fertigung einfacher und die Bauprozesse schneller. Andererseits sucht die Forschung nach Wegen, um die Materialeigenschaften anzupassen. Durch die Beigabe von Zusatzstoffen kann ein Material besser formbar werden oder mehr Wasser speichern. Habert untersucht zum Beispiel M?glichkeiten und Varianten von Flüssiglehm. Dieser entsteht, wenn dem natürlichen Baustoff Lehm mehr oder weniger natürliche chemische Zus?tze beigemischt werden. Dadurch wird er flüssig und kann wie Beton in eine Schalung gegossen werden, wo er aush?rtet. ?Das ist eine neue Technologie, wie man den Baustoff verarbeiten kann?, sagt Habert. ?Das Material selbst ist aber immer noch die Erde unter unseren Füssen – mit all ihren Vorteilen.?

Lehm ist weit verbreitet, kohlenstoffarm, st?sst kaum CO? aus und bietet ein gutes Raumklima. Er d?mmt den Schall und reguliert die Luftfeuchtigkeit. ?hnliche Eigenschaften treffen auch auf andere biobasierte Materialien wie Hanf oder Stroh zu. So reguliert Stroh beispielsweise die Luftfeuchtigkeit und bietet eine gute W?rmeisolierung. Strohballen k?nnen im Prinzip wie Ziegel verwendet werden, um ganze H?user zu bauen. Geb?ude, in denen Stroh das tragende Element ist, gibt es aber bisher kaum. Damit die W?nde stabil genug sind, müssen sie derzeit noch sehr dick gebaut werden. Das geht auf Kosten der Wohnfl?che. Dasselbe Problem stellt sich beim Lehm. Deshalb sieht Habert den Einsatz von Lehm zurzeit eher im Innenbereich. Lehm als Baumaterial für ganze Bauten zu verwenden, sei wegen seiner mangelnden Festigkeit noch ein grosse Herausforderung, sagt der Professor.

Vergessene Tradition

Sein Kollege Roger Boltshauser nimmt diese Herausforderung gerne an: Der Architekt und ETH-Professor für Architektur und Regenerative Materialien arbeitet seit über zwanzig Jahren mit den Eigenschaften von Lehm – und verwendet ihn auch in tragenden Strukturen. Lehm ist eines der ?ltesten Baumaterialien der Welt und diente dem Beton als Vorbild, als dieser im 19. Jahrhundert aufkam und, zumindest in Europa, Lehm als Hauptbaumaterial abl?ste. ?Die ersten Betonschalungen wurden den Lehmschalungen abgeschaut?, betont Boltshauser.

Der ETH-Professor m?chte die ?vergessene Tradition des Baustoffs Lehm wieder in unser Bewusstsein und in unsere Architektur bringen und weiterentwickeln. Wir versuchen, eine neue Sprache im Umgang mit Lehm zu finden und ihn effizient in die Bauprozesse zu integrieren?. Unterstützt wird er dabei von Felix Hilgert, Lehmbauunternehmer und Forschungsleiter an Boltshausers Professur. Mit einem Marktvolumen von unter einem Prozent sei Lehm zurzeit ein Nischenprodukt, betont Hilgert. ?Lehm fehlen 150 Jahre Forschung und Entwicklung. Entsprechend ineffizient und teuer ist es noch, mit diesem Baustoff zu bauen.?

Die beiden arbeiten und forschen mit Stampflehm, einer Lehmbauart, die man seit Jahrhunderten kennt. Dazu wird eine Mischung aus Ton, Sand, Kies und Wasser schichtweise in eine Schalung gefüllt und mit einem Stampfer maschinell oder per Hand verdichtet. Dadurch wird die Masse fest und formstabil. Nach dem Stampfen wird die Schalung entfernt, und der Lehm h?rtet an der Luft aus. Dadurch wird er tragf?hig. ?Unser Ziel ist, Lehm vermehrt in Tragstrukturen wie W?nden oder Decken grossfl?chiger verbauen zu k?nnen?, sagt Boltshauser. 

Zu den Personen

Roger Boltshauser ist Professor für Architektur und Regenerative Materialien am Departement Architektur der ETH Zürich.

Ingo Burgert ist Professor für holzbasierte Materialien am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich und Co-Leiter der Forschungsgruppe WoodTec an der Empa.

Guillaume Habert ist Professor für Nachhaltiges Bauen am Departement für Bau, Umwelt und Geomatik an der ETH Zürich.

Eine reine Lehmmischung sei aktuell zehnmal nachhaltiger als Beton, aber auch zehnmal weniger tragf?hig, legt der Professor dar. Um Lehm druckfester und somit attraktiver für mehrgeschossige Wohngeb?ude zu machen, versuche man, wie beim Beton, mit Armierungen zu arbeiten. Andererseits experimentieren Boltshauser und Hilgert auch mit Zuschlagstoffen, unter anderem mit Trasskalk, einem Gemisch aus Kalk und gemahlenem Gestein vulkanischen Ursprungs (Trass). ?Das macht den Lehm zwar dauerhafter. Gleichzeitig wird es aber schwieriger, das Baumaterial sp?ter wiederzuverwenden?, sagt Boltshauser.

Heute sind Stampflehmbauten normalerweise zwei- oder dreigeschossig. Theoretisch k?nnte man sie aber vierzig Meter hoch bauen, sagt Boltshauser. In die H?he zu bauen, sei sogar mit nicht stabilisierten Lehmelementen m?glich. Dies beweist der Ofenturm, den Boltshauser zusammen mit Studierenden für das Ziegelei-Museum in Cham entwickelt und gebaut hat. Es ist das erste vorgespannte Lehmbauwerk der Welt: Verst?rkt wird die Konstruktion aus vorgefertigten gestampften Lehmelementen mit Stahlseilen. Dadurch konnten der Innenraum ohne Zwischendecke und die tragenden Aussenw?nde dünner gemacht werden.

Eine andere M?glichkeit, Lehm für tragende Strukturen zu verwenden, ist die Kombination mit Holz. W?hrend Lehm allein kaum Zugkr?fte aufnehmen kann, ist Holz dafür deutlich besser geeignet. So gibt es zum Beispiel vorgefertigte Elemente aus Stampflehm, die von Holzbalken umrahmt werden. Mit solchen Hybridelementen lassen sich nachhaltigere W?nde oder Fassaden bauen. Wie Lehm ist auch Holz nachhaltig und in der Schweiz ausreichend vorhanden – und wird als Baumaterial immer beliebter: Bei neu gebauten Ein- und Zweifamilienh?usern machte der Anteil von Holz in der Tragkonstruktion 2023 bereits siebzehn Prozent aus, Tendenz steigend.

In St?dten, wo verdichtet werden muss, wird das leichte Baumaterial gerne für Aufstockungen verwendet und erreicht hier noch deutlich h?here Materialanteile. Bereits gibt es auch einzelne Projekte für Holzhochh?user. Mit Holz sollte aber noch viel mehr gebaut werden, sagt Ingo Burgert, Professor für holzbasierte Materialien an der ETH Zürich und Co-Leiter der Forschungsgruppe WoodTec an der Empa. ?Holz ist ein ausgezeichnetes Baumaterial: Es bietet hohe Festigkeit und Steifigkeit und hat im Vergleich zu anderen Materialien eine geringe Dichte. Und es w?chst nach.? Ein weiterer grosser Vorteil von Holz sei, dass in ihm CO? gebunden ist. ?Wenn es uns gelingt, mehr Holz zu verbauen, bei gleichzeitigem Erhalt einer nachhaltigen Forstwirtschaft, wird zus?tzliches CO? über mehrere Jahrzehnte im Geb?udebestand eingelagert. Auf diese Weise k?nnen wir im Kampf gegen den Klimawandel wertvolle Zeit gewinnen – bis es neue Technologien gibt, um CO? effizienter und weniger energieaufwendig der Luft zu entziehen und zu speichern.?

Burgerts Team forscht an M?glichkeiten, Holz in seinen Eigenschaften zu verbessern und es best?ndiger zu machen. Denn Holz interagiert mit Wasser, Sonnenlicht und Feuer und wird durch Pilze und Insekten abgebaut, wodurch das gespeicherte CO? wieder freigesetzt wird. ?Wenn wir die Einsatzm?glichkeiten von Holz deutlich erweitern wollen, müssen wir diesen Zyklus m?glichst umweltfreundlich verl?ngern beziehungsweise durchbrechen und Holz zus?tzlich besser gegen Feuer und die Farbver?nderung durch Sonnenlicht schützen?, so Burgert. Um Holz widerstandsf?higer zu machen, experimentiert Burgerts Team mit natürlichen, vorwiegend biologischen Substanzen, ohne die Nachhaltigkeit der Ressource Holz durch Modifikation mit bedenklichen chemischen Stoffen einzuschr?nken – zum Beispiel mit Schellack, einem Harz, das Lackschildl?use absondern, oder Tanninen, also pflanzlichen Gerbstoffen.

Wald der Zukunft

In der Schweiz werden für den Holzbau vor allem Nadelh?lzer genutzt, insbesondere die Fichte. Diese ist wenig resistent gegen Trockenheit und leidet stark unter den Folgen des Klimawandels. Daher sucht man nach alternativen Holzarten für die bestehenden Holzprozessketten. Keine einfache Aufgabe, da Holz langsam w?chst – und sich die klimatischen Bedingungen zurzeit schnell ver?ndern. ?Wenn wir uns jetzt für Holzarten als Ersatz entscheiden, müssen wir berücksichtigen, dass wir erst in Jahrzehnten ernten k?nnen?, so Burgert. Im Schweizer Wald der Zukunft wird es voraussichtlich deutlich mehr Laubb?ume geben. Diese Holzarten erfordern aber neue Prozesstechnologien, da sie für den klassischen S?geprozess deutlich weniger gut geeignet sind.

Eine Frau und ein Mann schauen sich Holz an
H?here Materialausbeuten: Forschende untersuchen im Projekt MainWood, wie man den Prozess des Holzspaltens in die Holzbearbeitung integrieren kann. (Bild: Sandro Livio Straube / Empa

Burgerts Team forscht daran, wie man den Prozess des Holzspaltens, der aus der traditionellen Schindelproduktion bekannt ist und deutlich h?here Materialausbeuten verspricht, in die Holzbearbeitung integrieren kann. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Holzbau vom Konstruieren auf der Baustelle hin zur Vorfertigung von Modulen verlagert, die vor Ort nur noch zusammengesetzt werden. Das erleichtert das Bauen mit Holz, das durch Feuchtigkeitsschwankungen in der Luft seine Dimensionen ?ndert. Vorfertigung und eine automatisierte Produktion sind essenziell für grossfl?chiges Bauen mit nachhaltigen Materialien. Darin sehen alle drei ETH-Professoren eine grosse Chance für die Schweiz. ?Die fortgeschrittene Automation in der Industrie, die breite Forschung, innovative Start-ups und der Wille der Baubranche, nach alternativen L?sungen zu suchen, treiben neue Prozesstechnologien und Materialentwicklungen hierzulande voran?, sagt Habert.

Es gebe bereits Geb?ude aus nachhaltigen Baumaterialien, die auch kosteneffizient sind, sagt Habert. Nur seien das leider noch nicht allzu viele. ?Wir brauchen mehr Produktionsfirmen, die nachhaltige Baumaterialien liefern. Zudem müssen wir das Vertrauen in solche Geb?ude st?rken.? Dabei helfen soll zum Beispiel der neue Atlas of Regenerative Materials. Die vor Kurzem lancierte Webplattform pr?sentiert schweizweit Architektinnen und Architekten, Unternehmen sowie Initiativen, die sich mit biobasierten Materialien befassen, und stellt Geb?ude vor, die auf diese Weise gebaut worden sind.

Ziel ist es zu zeigen, dass das Bauen mit solchen Materialien eine g?ngige Praxis werden kann. Und dass die Geb?ude auch Jahre nach ihrer Erstellung noch allen Ansprüchen genügen. Erw?hne man ein Strohhaus, denken einige wohl zuerst an die drei kleinen Schweinchen und ihr Strohhaus, das vom Wolf weggeblasen wird, sagt Habert. ?Wir müssen ein anderes Bild vermitteln und zeigen, dass das Strohhaus das Haus nebenan ist – und aussieht wie jedes andere Haus. So ?ndern wir die Bilder in den K?pfen.?

Materialien der Zukunft

Zwei neue Professuren sollen sich an der ETH Zürich mit der Neugestaltung von Materialherstellung, -nutzung und -wiederverwendung befassen. Im Fokus stehen Werkstoffe, Verfahren und Produkte, bei denen von Anfang an Nachhaltigkeitsaspekte integriert werden. Mit einer Anschubfinanzierung erm?glichen Donatorinnen und Donatoren technologischen Fortschritt, um nachhaltige und effiziente L?sungen gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu entwickeln.

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