
Kerstin Vokinger, wie bekommen wir die Krankenkassenprämien in den Griff?
Die st?ndig steigenden Krankenkassenpr?mien geh?ren laut Umfragen regelm?ssig zu den fünf gr?ssten Sorgen von Schweizerinnen und Schweizern. Kerstin Vokinger, Professorin für Recht und Medizin, skizziert ein paar L?sungsans?tze.?
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?Wenn es um das Thema Gesundheit geht, wird es schnell emotional – früher oder sp?ter betrifft es uns alle, unsere Freunde und Familienmitglieder. Zahlreiche Akteure mischen mit – und es geht um viel Geld: Gem?ss Bundesamt für Statistik betrugen die Gesundheitskosten 94 Milliarden Schweizer Franken im Jahr 2023, und die Pr?mien für unsere Krankenversicherung steigen regelm?ssig.
Die Expertin
Kerstin Vokinger ist Medizinerin und Juristin. Sie ist Doppelprofessorin und hat einen Lehrstuhl für Regulierung in Recht, Medizin und Technologie an der ETH Zürich & Universit?t Zürich. Es ist ihr ein Anliegen, dass Forschungserkenntnisse von ihr und ihrem Team der Gesellschaft dienen.
Die Frage ist also: Wo k?nnen wir Kosten einsparen, die Fortschritt und Qualit?t nicht beeintr?chtigen? Hier sehe ich in verschiedenen Bereichen Potenzial, einige davon m?chte ich hervorheben:
Zum Beispiel sollten wir die Digitalisierung konsequent angehen. Zuerst sind dazu Investitionen notwendig, aber die Implementierung würde zu einer besseren Qualit?t, mehr Effizienz und hohen Kosteneinsparungen führen. Mit einem funktionierenden elektronischen Patientendossier etwa k?nnten Untersuchungen effizienter durchgeführt und Redundanzen in der Diagnostik vermieden werden.
Eine bessere Digitalisierung würde zudem die Kommunikation sowohl zwischen den Abteilungen innerhalb eines Spitals als auch zwischen verschiedenen Spit?lern sowie zwischen Spit?lern und niedergelassenen ?rzten effizienter und qualitativ hochwertiger gestalten. Würden des Weiteren Aufgebote, Befunde und Rechnungen digital statt per Post verschickt, liessen sich allein damit Kosten im Millionenbereich einsparen.
Die Schweiz leistet sich eine der h?chsten Spitaldichten weltweit. Dabei wissen wir, dass medizinische Eingriffe erfolgreicher sind, wenn sie h?ufiger durchgeführt werden. Eine hohe Spitaldichte schw?cht nicht nur Qualit?t und Sicherheit, sondern führt auch zu ineffizienten Strukturen und hohe Betriebskosten. Eine st?rkere Zentralisierung von Spit?lern ist zwar politisch schwierig – w?re aus meiner Sicht jedoch sinnvoll.
Als sinnvoll erachte ich auch die Diskussionen um die medizinische ?berversorgung: Studien weisen darauf hin, dass gewisse Untersuchungen und Behandlungen nicht indiziert sind, teilweise gar schaden k?nnen. Als Beispiele gelten unn?tige Vitamin-D-Messungen oder überflüssige Eisenzufuhr. Auch bei gewissen operativen Eingriffen am Knie oder an der Hüfte ist es zumindest umstritten, ob sie einer ?berversorgung entsprechen.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erarbeitet mit den beteiligten Akteuren einen Masterplan, um einen gemeinsamen Rahmen für eine angemessene Patientinnen- und Patientenversorgung zu schaffen. Evidenzbasierte Studien k?nnten ebenfalls helfen zu verstehen, in welchen F?llen medizinische Interventionen einer ?berversorgung entsprechen und vermieden werden sollten.
Arzneimittel sind ein essenzieller Pfeiler in der Behandlung von Krankheiten. Neue Arzneimittel bieten neue Behandlungsm?glichkeiten für Patientinnen und Patienten. Das BAG weist darauf hin, dass steigende Arzneimittelpreise auch mitverantwortlich für den Pr?mienanstieg sind. Es handelt sich um den zweitgr?ssten Kostenblock in der Grundversicherung. In den letzten zehn Jahren sind diese Ausgaben um fünfzig Prozent gestiegen. Auch deshalb werden verschiedene Anpassungen des Preisfestsetzungssystems diskutiert.
Ich m?chte eine ?berlegung hervorheben: Ein zentrales Kriterium für die Festsetzung des Preises von Arzneimitteln ist der Auslandpreisvergleich. Da viele L?nder jedoch mit geheimen Rabatten arbeiten, vergleicht die Schweiz teilweise mit zu hohen Listenpreisen. Meiner Ansicht nach sollte dieses Kriterium überarbeitet werden.
Schliesslich kann jede und jeder von uns ebenfalls einen Beitrag leisten, sei dies durch einen gesunden Lebensstil, die Einnahme von Generika statt Originalpr?paraten (sofern dies medizinisch nicht kontraindiziert ist) oder die Konsultation bei der Haus?rztin anstatt des Spitalnotfalls bei kleineren, nicht akuten medizinischen Problemen.
Die Schweiz hat – auch im weltweiten Vergleich – ein sehr gutes Gesundheitssystem. Aber: Die Kosten sind hoch und nehmen weiterhin zu. Es w?re wünschenswert, dass die Akteure im Gesundheitswesen die Patientinnen und Patienten st?rker in den Fokus rücken und wir mit den L?sungsans?tzen schneller vorankommen.?
Vom ?Zukunftsblog? zu ?Perspektiven?
Der Zukunftsblog erhielt ein Fresh-up und heisst neu Perspektiven. Auf der Autor:innen-Plattform der ETH Zürich beantworten Expertinnen und Experten der Hochschule gesellschaftsrelevante Fragen und ordnen aktuelle Themen ein.
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