Was Schlammlawinen gefährlich macht
Murg?nge sorgen immer wieder für Tod und Verwüstung. Ein Forschungsteam hat diese Str?me aus Wasser, Erde und Ger?ll nun mit gr?sster Pr?zision ausgemessen. Die Studie zeigt bisher ungekl?rte Faktoren, die die Zerst?rungskraft von Murg?ngen bestimmen – und hilft damit, Schutzmassnahmen zu ergreifen.
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In Kürze
- Ein Forschungsteam der ETH Zürich hat in Zusammenarbeit mit der Eidgen?ssischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und dem Mathematik-Departement der britischen Universit?t Manchester Murg?nge im Wallis mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen.
- Sie verwendeten dafür Hochgeschwindigkeits-Videokameras und 3D-Laser-Scanner, die ursprünglich für selbstfahrende Autos entwickelt worden waren.
- Die Analyse der Daten liefert neue Erkenntnisse über die Dynamik von Murg?ngen und erm?glicht mittelfristig ein verbessertes Gefahrenmanagement.
Die Bergstürze in der Walliser Gemeinde Blatten Ende Mai 2025 oder beim Bündner Dorf Brienz im Juni 2023 haben das Gefahrenpotenzial von Erdrutschen in den Alpen in Erinnerung gerufen. Eine Form dieser Bedrohung sind auch Murg?nge. Diese Str?me aus Wasser, Feinmaterial und Felsbrocken treten typischerweise nach starken Regenf?llen in steilem Gel?nde auf und bewegen sich schnell eine Rinne hinunter. Dabei zerst?ren sie oftmals alles in ihrem Weg.
Im letzten Jahr sorgten grosse Murg?nge unter anderem in Sorte (GR), Fontana (TI) und im Saastal (VS) für Aufsehen. In Erinnerung ist auch der Bergsturz von Bondo (GR) im August 2017, dem ein Murgang folgte, der sich 100 Meter breit durch das Bondasca-Tal w?lzte. Acht Menschen starben damals.
Solche Schlammlawinen ereignen sich an exponierten Stellen immer wieder, im Abstand von Monaten oder Jahren. Wissenschaftler:innen nutzen diese Tatsache, um Naturereignisse in Gebieten mit h?ufigen Murg?ngen live zu beobachten.
So waren Forschende der ETH Zürich und der WSL vorbereitet, als sich am 5. Juni 2022 im Illgraben oberhalb der Walliser Gemeinde Leuk ein Murgang l?ste und sich 25’000 Kubikmeter Material vier Kilometer durch das Bett des Illbachs ergossen, bevor der schlammige Strom auf der H?he von Susten in die Rhone mündete. Mit mehreren Messstationen verfolgte das Team von Wissenschaftler:innen das Naturereignis.
Oben im Tal beobachtete es an der Spitze des Murgangs eine zwei Meter hohe und schnell vorrückende Front, die Felsbl?cke von bis zu einem Kubikmeter Gr?sse enthielt. Weiter unten im Tal war der Schlammstrom langsamer, allerdings traten an der Oberfl?che immer wieder schnelle, m?chtige Wellen auf (siehe Video). W?hrend des halbstündigen Murgangs z?hlten die Forschenden 70 solcher Wellenschübe.
Schübe entstehen spontan
?Man weiss seit langem, dass diese Schübe eine zentrale Rolle für die Zerst?rungskraft von Murg?ngen spielen?, sagt Jordan Aaron, Professor für Ingenieurgeologie am Departement für Erd- und Planetenwissenschaften der ETH Zürich. ?Denn Schübe machen den Strom besonders m?chtig und schnell.? Laut Aaron waren die physikalischen Prozesse, die zur Entstehung der Schübe führen, bisher kaum bekannt. Dank den Messungen rund um den Murgang vom Juni 2022 und einer darauf aufbauenden Modellierung wissen die Forschenden nun besser Bescheid: ?Wir konnten nachweisen, dass die Schübe spontan auf der Oberfl?che des Stroms entstehen. Sie rühren von kleinen Unebenheiten, die im Verlauf der Zeit anwachsen und dabei gr?sser und schneller werden, bis sie ihre maximale Zerst?rungskraft erreichen.?

Diese Erkenntnis steht im Zentrum einer Studie, die ein Team um Aaron gemeinsam mit Forschenden der Eidgen?ssischen Forschungsanstalt WSL und der Universit?t Manchester verfasst hat. Die Studie wurde soeben in der Zeitschrift ?Communications earth & environment? ver?ffentlicht. ?Unsere Analyse liefert neue Erkenntnisse über die Dynamik von Murg?ngen und erm?glicht mittelfristig ein verbessertes Gefahrenmanagement?, sagt Aaron. Die Gef?hrlichkeit eines Murgangs wird n?mlich massgeblich durch die Zerst?rungskraft der Schübe definiert.
Auf der Grundlage der aktuellen Studie k?nnte in Zukunft abgesch?tzt werden, ob Schübe bei einem Murgang zu erwarten sind und welche Zerst?rungskraft sie haben. Daraus l?sst sich ableiten, welchen Kr?ften Hausmauern oder Brückenpfeiler in einem Gefahrengebiet standhalten müssen. Auch k?nnten darauf aufbauend Schutzmassnahmen wie D?mme oder Auffangnetze dimensioniert werden.
Hochaufgel?ste Messungen
Der Illgraben oberhalb von Leuk ist bekannt dafür, dass dort jedes Jahr mehrere Murg?nge abgehen. Seit 2000 ist das Tal mit Messinstrumenten ausgerüstet, welche die Eigenschaften von Murg?ngen in ihrer natürlichen Umgebung aufzeichnen. Die Erkenntnisse aus der neuen Studie wurden aber erst m?glich, nachdem das Ereignis vom Sommer 2022 mit bisher einzigartiger Pr?zision ausgemessen werden konnte.
Dies geschah mit Hilfe von hochpr?zisen 3D-Laser-Scannern, sogenannten Lidars. Diese Ger?te zur Bestimmung von Abstand und Geschwindigkeit wurden ursprünglich für selbstfahrende Autos entwickelt. Im Juni 2022 hielten fünf Lidar-Scanner und sechs Hochgeschwindigkeits-Videokameras den Murgang im Illgraben fest (siehe Video). An drei Messstellen wurde die Oberfl?che des Schlammstroms mit einer r?umlichen Aufl?sung von 2 cm und einer zeitlichen Aufl?sung von 0.1 Sekunden detektiert. Daraus liessen sich M?chtigkeit und Geschwindigkeit des Murgangs errechnen.
Dank der Messdaten konnten die Forschenden eine Hypothese über die zugrundeliegenden physikalischen Prozesse ableiten und ein numerisches Modell entwickeln. Dieses mathematische Modell wird genutzt, um das Fortschreiten des Schlammstroms realit?tsnah nachzubilden (siehe Video unten).
Felsbrocken beeinflussen Str?mungsdynamik
Aus den Messdaten konnten die Forschenden auch ableiten, dass grosse Felsbrocken die lokale Str?mungsdynamik stark beeinflussen. ?Dieses Ph?nomen ist in den meisten bisherigen Vorhersagen zu Murg?ngen nicht enthalten?, sagt Aaron. ?Indem wir diese Effekte nun im Feld beobachten und messen k?nnen, erhalten wir eine pr?zisere Beschreibung und ein besseres Verst?ndnis dieser Naturvorg?nge.?
Literaturhinweis
Aaron J, Langham J, Spielmann R, Hirschberg J et al.: Detailed observations reveal the genesis and dynamics of destructive debris-flow surges. Communications earth & environment, 16. Juli 2025, DOI: externe Seite 10.1038/s43247-025-02488-7