Mit Mathematik gegen den Blackout
Florian D?rfler entwickelt Algorithmen, die unsere Stromnetze stabil halten – auf der Basis von Mathematik und mit grosser Risikobereitschaft, wie er sagt. Nun erh?lt er den R?ssler-Preis, die wichtigste Auszeichnung für junge Professorinnen und Professoren der ETH Zürich.
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?Wir haben schon richtig grosse Sachen gemacht. Ein Beispiel ist die Steuerung eines 100-Kilowatt-Wechselrichters – datenbasiert und mit KI?, sagt ETH-Professor Florian D?rfler. ?Wenn diese Steuerung nicht richtig funktioniert, überhitzt der Wechselrichter und das ganze Geb?ude, in dem er steht, brennt ab.? Solche sicherheitskritischen Anwendungen, die keinen Fehler verzeihen, findet er spannend. ?Wenn ein Roboter umf?llt, ist das egal, wenn ein Geb?ude abbrennt, nicht.?
D?rflers Fachgebiet ist die Regelungstechnik. Gestern wurde er mit dem R?ssler-Preis ausgezeichnet, dem h?chstdotierten F?rderpreis für herausragende junge Professorinnen und Professoren der ETH Zürich (siehe Kasten).
Bevor seine Steuerungen in Wechselrichtern oder anderswo in Energiesystemen zur Anwendung kommen, beginnt D?rfler mit Mathematik. Ihn interessieren die ganz fundamentalen Ans?tze: wie Systeme mithilfe von Modellen oder datenbasiert und mit KI optimiert werden k?nnen, wie man in einem System st?rende Schwingungen mithilfe einer Echtzeit-Rückkoppelungsteuerung vermeidet oder wie man die Untereinheiten eines hochkomplexen Systems miteinander synchronisiert.
Was mit Theorie, mit trockenen mathematischen Beweisen oder einem Algorithmus beginnt, führt bei ihm oft nach etlichen Jahren zur L?sung eines echten praktischen Problems. D?rfler erfüllt das dann mit Stolz – nicht nur, dass er zur L?sung des Problems beitragen konnte, sondern auch, dass er mit seinem Team den kompletten Weg von der Theorie bis hin zur Anwendung geschafft hat.
Algorithmus h?lt Stromnetz stabil
Ein Beispiel für eine solche Anwendung sind die Algorithmen, die bei den Aargauer Elektrizit?tswerken, einem regionalen Energieversorger, den Solarstrom ins Netz einspeisen. Es geht da um die Verteilung von Wirkleistung und Blindleistung. Würde Solarstrom nur als Wirkleistung ins Netz eingespiesen, k?me es bei viel Sonnenschein zu Spannungsspitzen, das Netz würde überlastet.
Im Prinzip liesse sich mit dem Bau von zus?tzlichen Leitungen oder Batteriespeichern Abhilfe schaffen. Doch das kostet. D?rflers L?sung kam g?nzlich ohne zus?tzliche Infrastruktur aus und war daher wesentlich günstiger: Er baute in die Steuerungssoftware in der Zentrale der Elektrizit?tswerke einen zus?tzlichen Algorithmus ein. Dieser verwendet die Messungen von Solarstromproduktion, Strom und Spannung im Netz und berechnet in Echtzeit, wie viel Wirk- und wie viel Blindleistung eingespiesen werden soll. Diese L?sung wurde letztes Jahr mit dem Watt d’Or ausgezeichnet, einem Preis des Bundes für Bestleistungen im Energiebereich.
?Der Algorithmus h?lt das Stromnetz im Aargau stabil. Er geht zurück auf theoretische und mathematische Forschung, die wir vor elf Jahren begannen?, erkl?rt D?rfler. Nun ist er mit weiteren Energieversorgern in Deutschland und Frankreich im Gespr?ch, um seine einfache L?sung auch dort zu realisieren.
Mit Risiko an die grossen Fragen
D?rfler will mit seiner Forschung die grossen Fragen angehen. Eine dieser Fragen ist: Wie kann das europ?ische Stromnetz mit einer intelligenten Steuerung fit gemacht werden für eine Zukunft, in der mehr und mehr Strom aus Wind- und Solarkraft stammt?
Jüngst hat er einen Algorithmus patentieren lassen für eine st?rungsresistente Steuerung der Wechselrichter in Wind- und Solarkraftwerken. Das Risiko für grossfl?chige Blackouts wie jenes vor zwei Monaten in Spanien liesse sich mit solcher intelligenter Technik stark reduzieren, sagt D?rfler.
Sich den grossen Forschungsfragen zu widmen, an die sich andere Forschende nicht herantrauen, weil der Erfolg nicht garantiert ist, dazu ermutigt er auch seine Mitarbeitenden – die Masterstudierenden, Doktorierenden und Postdocs. ?Die besten Leute der Welt kommen an die ETH, und ihnen m?chte ich m?glichst viel Freiraum geben.? Er sage ihnen, dass er zwei Jahre lang nichts von ihnen erwarte, ausser, dass sie sich in dieser Zeit Gedanken machen über das relevante grosse Problem, das sie l?sen wollen, und wie sie es mathematisch formluieren.
Ob diese Haltung nicht zu risikoreich sei, werde er oft gefragt. In der Tat sei er jemand, der regelm?ssig Risiken eingehe, nicht nur beruflich, sondern auch beim Bergsport, den er pflege, wann immer er freie Zeit habe, sagt D?rfler.
Stets in der N?he der Berge
Aufgewachsen ist D?rfler in Oberbayern. Er ging schon als Junge regelm?ssig in die Berge zum Skifahren, Mountainbiken, Fels- und Eisklettern. Als ?Professor ETH Zurich and wannabe dirtbag climber? bezeichnet er sich heute auf seinem Social-Media-Profil, also als einer der am liebsten in einem Campingbus durchs Land ziehen und sein Leben dem Klettern verschreiben m?chte. ?Wenn ich von heute auf morgen meinen Job verlieren würde, würde ich genau das machen?.
Das Social-Media-Profil zeigt ihn mit einem Bild einer seltenen Begehung des berühmtesten Eisfalls von Nordamerika, des Widow’s Tears im Yosemite Nationalpark. Das war im Jahr 2013, als er w?hrend seines Doktorats im kalifornischen Santa Barbara weilte. Und er hat die Aiguille du Dru im Mont-Blanc-Massiv auf einer ?usserst selten begangenen und schwierigen Route erklettert. American Direct heisst die Route auf einer 1000 Meter hohen Wand, die beinahe auf 4000 Meter über Meer hochragt.

Es gebe Parallelen zwischen Wissenschaft und Bergsport. Beides ziehe ?hnliche Charaktere an: disziplinierte Menschen, die willens sind, Risiken einzugehen, Mühen auf sich zu nehmen und den Weg auch dann weiterzugehen, wenn es hart wird. ?Risikobereitschaft und Hartn?ckigkeit braucht man in der Wissenschaft und im Bergsport.?
Interessanterweise sind, wenn auch nicht ganz alle, doch viele seiner Mitarbeitenden solche, die früher Sport auf h?chstem Niveau betrieben haben, im Skifahren, Klettern oder sonst einer Sportart. Auch gemeinsam im Team mache man Skiausflüge oder gehe Klettern. ?Viele der Leute, die ich einstelle, haben früher schon geklettert, aber definitiv alle klettern nachher?, meint er mit einem Augenzwinkern.

Auch ist sich D?rfler bewusst, dass sein riskanter Forschungsansatz an nicht vielen anderen Orten als der ETH Zürich m?glich ist. Denn zur Absicherung ben?tigt es eine solide Grundfinanzierung der Forschung, wie es sie an der ETH gibt. Wenn andere Forschende für ihre Arbeit Drittmittel akquirieren müssen, müssen sie schon im Voraus wissen, wozu sie die Gelder verwenden m?chten und sie brauchten viel Zeit für das Verfassen von Projektberichten und das Erreichen von Projektmeilensteinen. Zu viel Struktur ist seiner Meinung nach ein Hindernis für kreative und vision?re Forschung.
Dass Florian D?rfler nun mit dem R?ssler-Preis geehrt wird, zeigt, dass sein Weg erfolgreich war, dass es sich ganz offensichtlich gelohnt hat, Risiken einzugehen. Mit dem Preisgeld werde er mit seiner Gruppe etwas Sch?nes unternehmen. Ob es in die Berge gehen wird? Jedenfalls freut er sich sehr über die Sichtbarkeit, die sein Forschungsfeld und seine Gruppe nun dank dieses Preises erhalten.
Der R?ssler-Preis
Max R?ssler vermachte 2008 der ETH Zürich Foundation zehn Millionen Franken. Mit dem Zins aus diesem Verm?gen stiftet er einen j?hrlichen F?rderpreis für ETH-Professor:innen in der Expansionsphase ihrer Forschungskarriere. Der Preis ist mit 200‘000 Franken die h?chstdotierte Auszeichnung für Forschung an der ETH Zürich und wird jeweils am ?Thanks Giving?-Anlass der ETH-Foundation verliehen. Der Preisstifter studierte an der ETH Zürich Mathematik und doktorierte über Bahnberechnungen in der Raumfahrt. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University kehrte er an die ETH zurück und war von 1967 bis 1978 Senior Scientist und Lehrbeauftragter am Institut für Operations Research. Sp?ter war er in der Verm?gensverwaltung t?tig, ehe er sich aus dem Gesch?ftsleben zurückzog. 2013 verlieh ihm die ETH Zürich den Titel eines Ehrenrats.
Weitere Informationen zum externe Seite R?ssler-Preis